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Dokument Nr. 42:

Auszug aus dem Buch "Jugendverwahrlosung" von Eduard Montalta, herausgegeben von Josef Spieler, Zug 1939, betreffend "die herumziehenden Vagantenfamilien".

Montalta schreibt S.81 f über eine "Erscheinung, die wir seit den Zwangseinbürgerungen in einigen Kantonen (Gebirgsgegenden vor allem) der Schweiz kennen. Es sind die herumziehenden Vagantenfamilien der Kesselflicker und Strohflechter, der Töpfer und Korbflechter. Ganze Generationen dieser arbeitsscheuen, ruhelosen und nicht sesshaften Elemente leben auf Staatskosten und manche arme /S.82/ Gebirgsgemeinde, die seinerzeit mit einer solchen Zwangseinbürgerung freiwillig oder unfreiwillig bedacht wurde, leidet heute schwer an der sich daraus ergebenden Armenlast. Ein berühmtes Beispiel hat Dr. Jörger in seiner 'Familie Zero' beschrieben. Wenn auch in allen diesen Fällen die ungünstigen Anlagen als Vererbungstatsache eine grosse Rolle spielen, so muss doch gesagt werden, dass dazu ebenso mächtige Milieufaktoren sich gesellen, die wir nicht übersehen dürfen, wenn wir die grosse Häufung von Verwahrlosung und Kriminalität in diesen Familien betrachten wollen. Zu den Gefahren der Nichtsesshaftigkeit, der ungesunden Wohnverhältnisse, der Armut, der vernachlässigten Erziehung, des meist unregelmässigen oder noch öfter gar nicht erfolgenden Schulbesuches gesellt sich in allen Fällen die psychische Wirkung der Verfemung durch die einheimische Bevölkerung, die sich im Sinne einer asozialen Entwicklung des einzelnen Individuums sowohl wie der ganzen Sippe auswirken muss."

Kommentar:
Das Buch von Eduard Montalta, aus welchem das Zitat stammt, wurde von Josef Spieler herausgegeben, der an der Universität Fribourg ausserordentlicher Professor für Pädagogik war und der gleichzeitig in Luzern eine eigene heilpädagogische Praxis betrieb. Josef Spieler wurde 1945 wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP und der Propagierung von deren Gedankengut aus der Schweiz ausgewiesen. Vor 1945 fand er hier allerdings ein breites Wirkungsfeld. Eduard Montalta (1907-1986), Bürger von Morissen, wo er seine Ferien zu verbringen pflegte, steht nicht nur in der Tradition von Josef Jörger, dem ersten antiziganistischen Erbbiologen, und er rechtfertigt nicht nur die Verfolgung der "herumziehenden Vagantenfamilien" durch das von Alfred Siegfried geführte "Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse" der Pro Juventute, welcher sich ebenfalls auf Jörger berief. Indem Montalta die "herumziehenden Vagantenfamilien", gemeint sind damit seit Jörger die schweizerischen Jenischen, als "asoziale Sippen" und generell als "arbeitsscheu" bezeichnete, argumentierte er auch auf einer Linie wie Robert Ritter, der Leiter des Programms zur "rassenkkundlichen" Erfassung von Sinti, Roma, Jenischen und anderen Gruppen, welche er als "erblich minderwertig" und "asozial" bezeichnete. Viele von ihnen waren ein Jahr vor Erscheinen von Montaltas Schrift unter dem Code "Aktion Arbeitsscheu Reich" in die Konzentrationslager eingewiesen worden.
Montalta zitiert auch Nazi-Wissenschafter wie den Zwillingsforscher Friedrich Stumpfl (S.28) und den Kriminalpsychologen Heinrich Göring (S.38) zustimmend. Trotz oder wegen seiner Neigung zur Übernahmen faschistischen Gedankenguts in seine Erziehungslehren wirkte Montalta von 1946 bis zu seiner Emeritierung 1979 als Nachfolger Josef Spielers als Professor für Pädagogik und Heilpädagogik an der Universität Fribourg.