Thomas
Huonker
A rchiv
Texte
A nderes
www.thata.ch
Inhalt
- Liste aller thata-Seiten
- Histodrom
- Dokumente - Bilder
- Jenische in der Schweiz
- Jenische in Europa
- Roma in der Schweiz
- Sinti und Roma in Europa
- Roma in der Welt
- Der Umgang mit Fahrenden in der Schweiz bis 1798 - Auszüge aus Chroniken
- Fahrende und Bürgerrechte - Zwangseinbürgerung 1851
- Verdingkinder - Das "Hilfswerk für die Kinder der Landstrasse" (1926-1975)
- "Rassenhygiene" und "Eugenik" in der Schweiz
- Anstaltseinweisungen, Kindswegnahmen, Eheverbote, Sterilisationen, Kastrationen
- Die schweizerische Zigeunerpolitik zur Zeit des Nationalsozialismus
- Der Sammler, Historiker und Flüchtling Eduard Fuchs (1870-1940)
- Menschenrechte und Minderheitsrechte - Texte von Thomas Huonker - Pressespiegel
- Bilder und Objekte von Thomas Huonker - Ausstellungen - Vita - Publikationen
- Literaturverzeichnis - Service - Animalorama - Sitemap/Index - home

index



links



mail
Liste von kommentierten Dokumenten
zu den Themen Minderheiten, Roma, Sinti, Jenische, Indigene, Menschenrechte, Menschenrechtsverletzungen, Kindswegnahmen, Anstalten, Geschichte, Pro Juventute, "Eugenik", "Rassenhygiene", Zwangssterilisation, Kastration, Psychiatrie, Rassismus, Flüchtlingspolitik, Völkermord, Holocaust

Dokument Nr. 12: Amtliche Verfolgung einer fahrenden Kessler-Familie in Bern, 1735

Mitteilung eines Ratsbeschlusses an die Almosenkammer zum amtlichen Vorgehen gegen die fahrende Kessler-Familie Rudolf

QUELLE: Manual der Ausburger- und Almosenkammer Bern, Staatsarchiv Bern, Signatur BXII.26, S. 80/81

Datum: 31. Mai 1735

"Über angehörte Examen, so MHH. der Criminal-Commission mit dem allhier gefänglich eingezognen Keßlergsind, als Heymattlosen Verführt, habend Ihr Gn. von einem zum andere Erkennt, wie folget und zwahr:

1. ratione Christen Rudolff deß Vatters von Siebenzig Jahren alters, der da zwahr öffters auß dem Land geführte und Eydtlich bannifirt worden, deßen ohngeacht aber wieder eingetreten und mit den seinigen zur Beschwärd der Landleüthen herumbgezogen.
2. aber wegen deß auch 70 oder mehrjährigen Hanß Rudolffen, so zwahr nach Lottringen gewiset, letstlich aber wieder in Ihr Gn. Land gekommen, obwohl Ihme das Verpott, selbige zubetretten, bekant gewesen, habend Ihr Gn. dem H. Großweibel und H. Grichtschreiber befohlen, diese beyde alte Männer ins Schallenwerk übergeben zelaßen und sie darin für die Lebtag, jedoch ohne Ring enthalten zelaßen. Betreffend aber
3. deß ersteren Sohn namens Christen Rudolff von 26 Jahren alters, sintemahl derselben sich mit einem Papistischen Weib von Rynfelden verheürahtet, und mit seinen Eltern umbhergangen, sollend sie H. Großweibel und H. Grichtschreiber diesen Kerl Eydtlich von MGH. Stätt und Landen verweisen, und mit der Galeeren Straff betröhen, wo er wiederkäme. Endlich dan ist
4. Ihr Gn. Will, daß dieser Leüthen Weib und Kind insgesambt von hier auch fortgewiesen, mit pässen versehen und ihnen solle eingeschärpft werden, hiesige Land nicht mehr zubetretten, sonder draussen zubleiben, als worzu H. Großweibel den Befelch empfangen."

Kommentar:
Der Begriff Ausburger bededutet Nicht-Bürger, Manual heisst Handbuch. Gemäss üblicher Praxis wurde diese fahrende, heimatlose und bürgerrechtslose Familie mit Bezügen zur Schweiz und zu Lothringen, welche das ambulante Kesslergewebe betrieb, aus sämtlichen Territorialgebieten verjagt und musste doch irgendwie und irgendwo ihre Existenz fristen. Sie erhielt auch in Bern weder Almosen noch Aufenthalt. Um den bereits früher ausgesprochenen Wegweisungen aus Bern Nachdruck zu verleihen, wurden die beiden ältesten Mitglieder des Familienverbands, siebzigjährig und älter, von ihrer Familie getrennt und zur Zwangsarbeit ins sogenannte Schallenwerk oder Schellenwerk eingegliedert. Diese Sträflinge hatten den Unrat aus Berns Gassen zu beseitigen. Sie waren in eiserne Ringe geschmiedet, an denen eine Schelle befestigt war; diese entehrende Zusatzstrafe wird den beiden alten Männern erlassen. Einem jüngeren männlichen Familienmitglied wird der Verkauf auf die Galeeren angedroht, eine oft tödlich verlaufende Strafe. Besonders missliebig wirkte im reformierten Bern, dass er eine "papistische" Partnerin hatte. Eine solche Partnerwahl führte automatisch zum Verlust des Bürgerrechts, sofern die Betreffenden vorher eines hatten.
Vgl. zu den obrigkeitlichen Massnahhmen der Schweiz gegen "Zigeuner", "Landstreicher" und "Bettelgesindel" auch www.thata.ch: Der Umgang mit Fahrenden in der alten Eidgenossenschaft.
(Das Dokument aus dem Berner Staatsarchiv wird hier zitiert nach der CD zum Buch von Erika Flückiger Strebel: Zwischen Wohlfahrt und Staatsökonomie. Armenfürsorge auf der bernischen Landschaft im 18. Jahrhundert. Zürich 2002)